Bildung, wirkliche Bildung jedoch sähe anders aus und würde Individuen vielleicht radikal dazu zwingen, sich der eigenen Vereinzelung auszusetzen, um daraus die eigene innere Freiheit und Möglichkeit zu gebären. Dazu gehört Entfremdung und Skepsis, zunächst weniger gegenüber äußeren Erziehungsinstanzen, als gegenüber sich selbst und die ehrliche Frage nach der Gewolltheit der angestrebten Ziele: Will ich das oder will man das für mich? Zugegeben, in einer Spätmoderne, deren Kulturindustrie dieses reflexive Moment in Form von Fernsehshows, Büchern (Simplify your life) und Wochenendseminaren bereits in sich aufgenommen hat, ist es schwer, dem gegenüber noch die Existenz dieser Eigentlichkeit von Bildung und Selbstentfaltung zu predigen. Auf einen Test muss verzichtet werden: Bildung verlangt letztlich schon das, was sie erst hervorbringen soll. Das ist ein Dilemma, dem man weder in der Einsiedelei noch in der Konsummasse entkommt. Einziger Ausweg bietet vielleicht auch diesmal das Vertrauen in die Grenzenlosigkeit des gesunden Menschenverstandes, der sich auch dieser kapitalistischen Vereinnahmung zumindest in Teilen entziehen wird. Wie dieser Weg aber aussähe, bleibt offen: am Ende müssen wir uns vielleicht mit der Situation abfinden, die bereits Platon im Höhlengleichnis beschrieb: jeder muss von selbst den Schein erkennen, es hinter sich lassen und sich auf den langen Aufstieg Richtung Wirklichkeit aufmachen – eine Garantie, dass man ankommt, dass man überhaupt irgendwo herauskommt aus der Höhle und nicht nur von einem Gang in den nächsten Seitengang irrt, die gibt es dabei allerdings nicht. Sicher ist aber, dass diejenigen, denen wir tief unten in der Höhle predigend begegnen, mit ein wenig Menschenverstand und, da ist das heikle Wort wieder, Bildung in ihren Absichten entlarvt werden können, und sei es allein nur durch die Frage, nach ihrem Telos (Ziel) und ein Vergleich dieses mit ihrem Wirken (entspricht ihr Tun ihrem Telos oder spielen sie sich und uns nur etwas vor?). Wenn Erziehung und Bildung auch vorläufig nicht mehr zum Wahren, Guten und Schönen erziehen, so doch zu Kritik. Zu der Fähigkeit, Kritik zu üben und dabei niemanden außen vor zu lassen. Darum ist Erziehung zur Mündigkeit (Adorno) vielleicht vorerst nur Erziehung zur Kritikfähigkeit. Der kindliche Trotz, der heutzutage oftmals den Beginn von Erziehung bereits verhindert, darf mit Kritikfähigkeit nicht verwechselt werden. Er ist vielleicht ein Vorgriff darauf, aber er besitzt nicht deren innere Freiheit. Kritikfähigkeit aber hieße, um die Programmatik der Aufklärung leicht zu korrigieren, zunächst einmal weniger den Ausweg des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, sondern, damit rechnete Kant wohl nicht, den Menschen erst einmal dahin zu erziehen und zu bilden, dass er überhaupt dazu in der Lage ist, seine Unmündigkeit zu erkennen und im Instrumentarien zur Verfügung zu stellen, mit denen er sich aus dieser überhaupt befreien kann: wer seinen eigenen Verstand noch nicht ausgebildet hat, dem fehlt nicht der Mut, sich diesem zu bedienen, sondern schlichtweg das Können. Das aber herzustellen kann nur Erziehung und Bildung leisten, deren Ziel das selbständige, selbstfähige und selbsttätige Individuum ist.
Mittel zur Erreichung dieser alternativlosen Zielstellung ist neben dem Stärken der Kinder und dem Klären der Sachen (von Hentig), den Fetischcharakter der Wirklichkeit zu offenbaren und zu bewahren. Kindern muss diese Welt als ein Geheimnis bekannt gemacht werden, dass es sich zu lösen lohnt. Das meint, das kindliche Staunen zu befördern und gegen Desillusionierung zu betonen, dass die Wirklichkeit mehr ist, als ihnen gezeigt wird und einen verborgenen Charakter besitzt, den es sich zu entdecken lohnt.
Nicht im dumpf anbetenden Stile eines Paulo Coelho, sondern als zur Auseinandersetzung herausfordernde Realität. Wer damit beginnen will, sich die Dinge aufzuklären, muss sie erstmal als Geheimnis entwerfen, das es sich aufzuklären, entdeckt zu werden lohnt. Das Wundern und Staunen muss befördert werden, weil erst daraus das Interesse entspringt, die Sachen zu klären und man daraus gestärkt als Mensch hervorgeht, der das Bestaunte ein Stück weit verstanden hat.
(Alles was wir lernen, tun, uns aneignen, dient uns nur dazu, die Wirklichkeit und uns besser verstehen und besser leben zu können.)
(Wer Literatur studiert, für den verliert sich der Fetischcharakter der Literatur nicht, er lernt ihn nur besser zu handhaben, aber er kann immer noch, vielleicht mehr als zuvor, über das, was er vor sich liegen hat, staunen)
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